Welche Haltung gegenüber Krieg und Angst?

Mondo mit Marc Chigen Estéban - Godinne, März 2022

Frage: Ich wollte ihre Meinung als Zen-Meister zu der aktuellen Situation hören, die sehr beunruhigend ist  (Anm. d. Ü.: Die Person bezieht sich auf den Krieg in der Ukraine). Wie können wir das verstehen? Wie können wir mit der Angst umgehen, die wir in Bezug auf die Verschlimmerung der Situation in Europa empfinden?

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Marc Chigen Estéban: Als Zen-Meister und als Einzelperson bin auch ich besorgt. Ich bin natürlich nicht wegen der Zen-Praktizierenden besorgt, sondern wegen der Menschen, die sich in der Welt schlecht verhalten!
Ich glaube, dass wir alle eine Form von Angst oder Furcht vor der aktuellen Situation empfinden. Diese Angst äußert sich mehr oder weniger deutlich, aber sie ist real und gerechtfertigt. Und ich glaube, dass das beste Mittel gegen Angst und Furcht das Handeln ist. Denn wenn wir uns von der Angst völlig überwältigen lassen, lässt uns diese Angst erstarren, und das ist schlimmer als alles andere.

Ich denke, dass es für uns im Wesentlichen zwei Möglichkeiten gibt, wie wir handeln können.

Die erste ist, den Glauben, das Vertrauen, in die Praxis zu bewahren und weiter zu praktizieren, indem wir die Verdienste der Praxis den leidenden Wesen widmen, den Glauben daran zu bewahren, dass unsere Praxis nicht vergeblich ist. Allein kann man die Welt nicht retten, aber man kann ihr helfen. Das ist die erste Art des Handelns.

Die zweite Art des Handelns ist natürlich das Handeln, um Menschen in Not direkt zu helfen, das Handeln im täglichen Leben. Dies kann viele Formen annehmen: die Form der Spende - die Spende von Geld oder lebensnotwendigen Gegenständen. Derzeit werden Sammlungen in diesem Sinne durchgeführt, um Menschen zu helfen, die den Krieg erleben, was eine Möglichkeit ist, schnell zu handeln. Manchmal bedeutet Handeln auch, dass man demonstriert, um seine Missbilligung auszudrücken, wenn das hilfreich ist, aber die Grundvoraussetzung ist dann, dass man friedlich demonstriert. Handeln kann auch bedeuten, mit Menschen zu sprechen, die zutiefst verängstigt sind, um ihnen zu helfen, von der Angst zur Tat zu schreiten. Und es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, im täglichen Leben zu handeln, um zum Weltfrieden beizutragen. Aber ich denke, dass das erste, was wir im Moment tun müssen, Spenden sind, insbesondere Spenden durch bestehende Strukturen, die Hilfe in Kriegszeiten organisieren und kanalisieren.

Eine weitere Aktion, die gerade beginnt und wahrscheinlich noch länger andauern wird, ist die Aufnahme. Sicherlich haben Menschen, die eine tiefe und engagierte spirituelle Praxis haben, eine Rolle zu spielen, direkt oder indirekt. Sie haben vielleicht eine direkte Rolle bei der Aufnahme von Menschen in Not, aber sie haben auch eine Rolle auf lange Sicht. Denn wir haben gesehen, dass, wenn Menschen durch Konflikte vertrieben werden, schnell eine große Solidaritätsbewegung entstehen kann (und das ist wirklich sehr gut), aber manchmal werden die Dinge kompliziert, wenn sich die Situationen über einen längeren Zeitraum hinweg etablieren. Mir scheint daher, dass die Handlung von Personen, die sich auf einem spirituellen Weg engagieren, darin besteht, nicht nur in der Emotion des Augenblicks aufgrund eines Schockeffekts zu sein, sondern sich auch darauf vorzubereiten, auf Dauer zu helfen, und auf Dauer eine beruhigende Sprache zu bewahren. Daher scheint mir, dass wir auch auf dieser Ebene eine Rolle zu spielen haben.

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Leider kann man nicht alleine die Welt retten. Aber man muss wirklich den Glauben daran haben, dass die Zazen-Praxis sich positiv auswirkt, auch für den Weltfrieden. Ich werde Meister Niwa Zenji zitieren. Für diejenigen, die es nicht wissen: Er war der Leiter der Sotoshu, der "Papst" des Zen sozusagen. Und er kam nach Frankreich, um die Lehre von Meister Deshimaru nach dessen Tod zu zertifizieren. Er war es, der Roland unter anderem die Weitergabe, das shiho, gegeben hat. Damit hat er die Linie von Meister Deshimaru bestätigen, der vor seinem Tod keine Zeit mehr dazu gehabt hatte.

Mir wurde berichtet, dass ein Journalist bei dieser Gelegenheit ein Interview mit ihm führte und ihm die Frage stellte: „Wozu könnte Zen nützlich sein?“
Und er antwortete, soweit ich weiß: „Um Frieden in der Welt zu schaffen.“
Der Journalist fragte: „Wie?“, und Niwa Zenji antwortete: „Wenn alle Wesen jeden Morgen dreißig Minuten Zazen praktizierten, bin ich mir sicher, dass alle Kriege auf der Welt sofort aufhören würden.“

Leider machen nicht alle Wesen jeden Morgen dreißig Minuten Zazen, aber wir tun es, und wir müssen weitermachen. Es ist ein kleiner Tropfen in einem Ozean des Mitgefühls. Und es ist auch wichtig, sich vor Augen zu halten, dass wir nicht für uns selbst praktizieren, sondern um das Leiden der Wesen zu lindern. Wenn wir nur daran denken, selbst wenn es nur für ein paar Sekunden ist, zum Beispiel nachdem wir zu Hause Zazen gemacht haben, beeinflusst das unseren Geist. Und neben der Zazen-Praxis beeinflusst es auch unsere Körperhaltung im Alltag. Auch wenn wir es nicht messen können, hilft es uns und es hilft anderen.

Das ist meine Meinung... Und ich denke auch, dass wir es vermeiden sollten, in Wut zu geraten. Das ist auch eine der Aufgaben der Praktizierenden des Weges. Das bedeutet nicht, sich nicht zu ärgern oder zu empören, sondern sich nicht von der Wut mitreißen und überwältigen zu lassen, der Wut auf die Situationen, die gerade geschehen, und auch der Wut, dem Hass, auf diejenigen, die diese Situationen verursachen. Das ist schwierig. Aber eine Möglichkeit, das Leben eines Bodhisattvas vorzuleben, besteht darin, nicht wütend zu werden und sich nicht von der Wut leiten zu lassen, denn wie ihr wisst, ist Wut ein Gift. Gegen die schlimmsten Wesen muss man also handeln, aber indem man versucht, sich nicht von der Wut überwältigen zu lassen und keinen Hass zu erzeugen.

 

 

Tags: Marc Esteban, NL35

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