Wichtige Zweifel
Mondo mit Roland Yuno Rech - Grube Louise, September 2018
Frage: Gestern sprachst du davon, Fragen zu stellen, wenn man Zweifel hat. Ich frage mich, um welche Art Zweifel es sich dabei handelt, die man unbedingt aufklären sollte. Wäre es nicht gut, einige Zweifel zu haben, um den Geist offen zu halten? Inwieweit kann eine Überzeugung auch zu einer Form der Gewohnheit des Denkens werden, die uns einschließt? Was sind das für Zweifel, die die Praxis vergiften?
Roland Yuno Rech: Zum Beispiel die Zweifel über die Art zu praktizieren und die Geisteshaltung im Zazen. Wenn einem nicht klar ist, in welche Richtung man sich während Zazen konzentrieren sollte, wird die Praxis völlig verdorben. Man kann 20 Jahre lang Zazen praktizieren und nie den Frieden des Geistes finden, wenn man glaubt, es ist nicht gut, dass während Zazen Gedanken erscheinen, und sie daher bekämpft. Man kann jahrelang ein kämpferisches Zazen erleben, was überhaupt nicht der Sinn der Zazen-Praxis ist. Es gibt wichtige Zweifel. Man muss sich fragen, ob man richtig praktiziert, denn es gibt eine richtige Weise zu praktizieren.
Aber es gibt auch Menschen, die das Gegenteil tun. Sie erwarten von Zazen außergewöhnliche Erfahrungen, eine Erleuchtung oder besondere Geisteszustände. Früher gab es Hippies, die Joints rauchten, bevor sie Zazen praktizierten. Sie erhofften sich dadurch einen interessanten, veränderten Bewusstseinszustand. Daran sollte man zweifeln und sich immer wieder die Frage stellen, ob das richtig ist oder nicht.
Auch ist es sehr wichtig, das eigene Ego zu hinterfragen. Unser Ego existiert, es ist ein geistiges Konstrukt, aber oft geht es über seine eigentliche Funktion hinaus. Anstatt einfach ein Bezugspunkt für unsere Identität in menschlichen Beziehungen mit den anderen zu sein, wird es für uns manchmal zum Zentrum der Welt. Dann werden wir egozentrisch, was ein großer Fehler ist. Diese Funktion des Egos, sich als Zentrum der Welt zu betrachten, ist definitiv in Zweifel zu ziehen, denn es ist allerhöchstens das Zentrum unserer kleinen, eigenen Welt. Das ist wichtig, es ist sogar eine Pforte des Erwachens.
Wer Illusionen erkennt, muss sie in Zweifel ziehen, denn wer seine Illusionen für die Wirklichkeit hält, kann sich nicht entwickeln. Ein Zweifel kann sehr heilsam sein. Man beobachtet seinen Geist und fragt sich: „Mache ich mir gerade Illusionen oder nicht?“ Man kann zum Beispiel den Eindruck haben, erwacht zu sein, sich aber völlig in einer Illusion bezüglich des Erwachens befinden. Das sollte man anzweifeln: „Habe ich das Erwachen jetzt verwirklicht, oder ist es eine Illusion?“ Ich denke, Zweifel sind nötig. Wer auf der Suche nach der Wahrheit ist, muss die Fallen hinterfragen, denen er begegnet. Übrigens habe ich ein Buch über die Fallen auf dem Weg geschrieben.
Daher ist es wahr, dass der Zweifel eine klärende, reinigende Funktion hat, er reinigt den Geist von all den illusorischen Überzeugungen, die ihn überladen und verhindern, dass er wirklich erwacht.
Alle möglichen Anhaftungen können in der Zen-Praxis entstehen, zum Beispiel auch in der Beziehung zwischen Meister und Schüler. Diese Anhaftungen muss man erkennen und in Zweifel ziehen, um sie aufgeben zu können.
Jedoch gibt es auch schädliche Zweifel, Zweifel an der Unterweisung, Zweifel an der Praxis. Dann hat man keine Lust mehr, Anstrengungen für die Praxis zu unternehmen. Wer daran zweifelt, dass es wichtig ist, zur tiefen Dimension seines Lebens zu erwachen, und lieber alle erdenklichen Freuden des Lebens genießt, sollte diese Art von Zweifel wirklich in Frage stellen.
Ich erinnere mich an einen Mann, der im Tempel La Gendronnière Zazen praktizierte. Meister Deshimaru machte damals ein Kusen über mushotoku und sagte: „Im Zen gibt es nichts zu erreichen.“ Dieser Mann stand plötzlich auf, kletterte durch ein Dojo-Fenster und lief davon. „Wenn es hier nichts zu erreichen gibt, habe ich keinen Grund, hier zu bleiben, also gehe ich.“ Einige Tage später kam er wieder zurück. In diesem Moment jedoch hatte er einen großen Zweifel, und das war ein schlechter Zweifel.
Manche Zweifel hindern uns zu praktizieren. An der Sangha zu zweifeln zum Beispiel oder daran zu zweifeln, ins Dojo zu gehen oder auf Sesshins fahren, sind grundlegende Zweifel an der Praxis. Wer daran zweifelt, dass Zazen das ganze Leben ist, gyoji, die beständige Praxis im Alltag, und nicht nur einige Momente, die man im Dojo verbringt, der zweifelt an der Unterweisung und kann sie daher nicht praktizieren. Das ist ein Teufelskreis, denn wenn die Praxis, wie Kodo Sawaki sagte, auf eine Kirschtomate reduziert wird, strahlt sie nicht auf unser Leben aus und bleibt sehr begrenzt. Dann kann man die Wohltaten der Praxis nicht erfahren, und hört nach einer Weil auf zu praktizieren. Auf derartige Teufelskreise muss man achtgeben. Zweifel, die uns daran hindern, wahrhaft tief zu praktizieren, nähren ganz allgemein unsere Zweifel.
Alle Zweifel, die uns daran hindern, die Praxis zu vertiefen, sind töricht. Die Zweifel hingegen, die unsere falschen Glaubensvorstellungen oder Illusionen über unsere Praxis und unser Ego in Frage stellen, sind gut.
Mit anderen Worten, man muss unterscheiden können, welcher Zweifel gut ist oder nicht. Und wenn man sich nicht sicher ist, kann man darüber mit seinem Meister sprechen oder mit einem älteren, erfahrenen Schüler: „Ich habe ein Problem, einen Zweifel. Was denkst du darüber?“ Da kann auch die Sangha eine Hilfe sein und Rat geben, der Rat der Älteren.
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