Der Weg der Mitte
Mondo mit Roland Yuno Rech - Grube Louise, Januar 2013
Frage: Könntest du den Begriff des Weges der Mitte erläutern? Für mich bedeutet es, dass ich mich zwischen zwei Dingen bewege, aber wenn man von Mitte spricht, schließt man die Extreme aus.
Roland Yuno Rech: Aber nein, überhaupt nicht!
F.: Was bedeutet dann „Mitte“?
R.Y.R.: Das ist der Weg, der die Extreme umfasst, der realisiert, dass die Extreme nicht getrennt voneinander existieren. Sie haben keine eigene Existenz, sie existieren nur gemeinsam. Man kann nicht nur die eine Seite auswählen, weil die eine Seite nicht ohne die andere Seite existiert. Der Weg der Mitte ist der Weg, der alle Dualitäten einschließt.
Genauer gesagt waren es zwei Sachen, die Buddha den „Weg der Mitte“ nannte. Von der ersten sprach er bei seiner ersten Predigt in Benares. Da ging es um die Mitte zwischen zwei Extremen: einerseits die überzogene Askese, die Kasteiungen, die nicht zur Befreiung führen, andererseits die Suche nach allen möglichen sinnlichen Freuden, ein sehr materialistisches Leben, das auch nicht das wahre Glück darstellt. Zunächst sagte der Buddha: „Ich lehre den Mittleren Weg: weder Askese noch Kasteiung.“ Also Ausgewogenheit.
Aber später vertiefte er seine Unterweisung. Er erklärte, dass der Weg der Mitte weder Nihilismus noch Nichwandel bedeutet. Es gab zu der Zeit zwei Glaubensrichtungen. Einige Menschen glaubten (wie es auch heute noch der Fall ist), dass mit dem Tod alles verschwindet, dass nichts übrigbleibt. Es ist das Nichts, die Vernichtung. Der Buddha lehnte diese nihilistische Auffassung der Existenz immer ab.
Auf der anderen Seite gab es Menschen, die an ein ewiges, nach dem Tod fortdauerndes Atman glaubten: Selbst wenn der Körper stirbt, lebt die Seele ewig weiter und bleibt unverändert. Für Buddha war das ein anderes falsches und schädliches Extrem.
Was er den „Weg der Mitte“ nannte, war das Verständnis der wechselseitigen Abhängigkeit, der Kausalität. Dies existiert, also wird das existieren. Nichts existiert ohne Ursache und deshalb gibt es einen ständigen Wandel. Nichts ist starr, nichts ist ewig fest und gleichzeitig verschwindet nichts ganz. Anders gesagt, im Moment des Todes kehrt man nicht zum Nichts zurück, sondern das Leben wandelt sich einfach um. Der Weg der Mitte ist weder das Extrem des Nihilismus noch das Extrem des Nichtwandels.
F.: Wenn ich vom Weg der Mitte höre, habe ich das Gefühl, dass ich zuerst aufgefordert werde, die Extreme zu erkennen.
R.Y.R.: Ja, natürlich! Die Mitte existiert nicht ohne Extreme. Die Mitte existiert nur im Zusammenhang mit den Extremen. Und ein Extrem existiert nicht ohne das andere Extrem. Zum Beispiel existiert die Nacht nicht ohne den Tag, der Tod existiert nicht ohne das Leben. Alles, was existiert, existiert nur in wechselseitiger abhängigen Beziehungen, und die Mitte existiert nur im Zusammenhang mit den Extremen. Mit anderen Worten bedeutet der Weg der Mitte, anzuerkennen, dass nichts von sich aus, unabhängig von allem anderen existiert.
Alles was existiert, insbesondere das Leben, sind nur Beziehungen. Dies wird von den fortschrittlichsten Wissenschaften bestätigt. Zum Beispiel gibt es kein absolutes Vakuum. Die Quantenphysik hat voll und ganz erkannt, dass das, was als „Vakuum“ bezeichnet wird, eigentlich Energie ist, und Energie ist eine Beziehung. Alles, was existiert, ist demnach Beziehung.
Es ist eine Illusion zu glauben, dass es etwas Getrenntes gibt. Tatsächlich wurde noch nie etwas Getrenntes gesehen. Das ist das große Gesetz der Existenz. Wenn man von Leerheit spricht, meint man eigentlich, dass es nichts Getrenntes gibt. Wir sprechen von der Leerheit der Illusion zu glauben, dass das eigene Selbst, das eigene Ego unabhängig vom Rest existiert.
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